Placebo – Leeds Festival, UK


Freitag, 27. August 2004
Foto-Job: Placebo @ Leeds Festival, UK
backstage & onstage

Like a fly on the wall

Im August 2004 wurde ich von PLACEBO beauftragt, so genannte ‚fly on the wall’ Fotos von ihnen zu machen bei zwei der größten englischen Festivals, Leeds und Reading, sowohl backstage als auch auf der Bühne. Placebo habe ich das allererste Mal live gesehen und persönlich getroffen im Jahr 1996 (ich sah sie damals live in der Schweiz als Vorband von David Bowie im Februar 96 und machte dann mein erstes Interview mit Brian ein paar Monate später) und über die Jahre habe ich viele Fotos von ihnen gemacht. Wie Stefan Olsdal, Placebo’s Bassist, es mal beschrieb, „Placebo und Claudia, das reicht lange zurück. Auf unserer allerersten Deutschland-Tour war sie, glaube ich, fast jede Nacht in der ersten Reihe. Von da an war sie bei mehr als 50 Konzerten in wahrscheinlich halb so vielen Ländern und sie hat eine beeindruckende Foto-Sammlung quer durch unsere aufeinanderfolgenden Geschmäcker (manche besser als andere) was Kleidung und Gestalt angeht. Zu der Zeit machte sie ein Manic Street Preachers-Fanzine namens Carpe Diem, in dem man schon ihr Talent für Fotografie und auch für ihren intelligenten, gründlichen journalistischen Stil sehen konnte. Ich glaube, wir kamen für ein Interview zusammen und es wurde die erste von vielen Begegnungen. Eine Deutschland-Tour wäre ohne sie nicht mehr dasselbe.“ Ich glaube, mein Zählerstand ist bei 76 Placebo-Konzerten auf der ganzen Welt stehen geblieben ! Nach dem Fanzine kam dann die Carpe Diem Placebo-Webseite, die sehr beliebt war bei den Fans und von Placebo unterstützt wurde. Leider musste ich sie jedoch aus Zeitgründen drangeben, da es meine komplette Freizeit in Anspruch genommen hat, die Seite permanent mit News und exklusiven Goodies zu aktualisieren – so etwas kann man nur für eine gewisse Zeit derart intensiv machen, wenn man sonst noch ein Leben haben will. Und ich mache Sachen nicht halbherzig.

Leeds1_Diary

Die meisten meiner Placebo-Aufnahmen sind Live-Fotos, da ich mich immer dabei etwas unwohl gefühlt habe, sie mit meiner Kamera backstage vor oder nach Konzerten zu ‚belästigen’, wenn sie entweder angespannt sind oder sich einfach nur entspannen und Party machen wollen – und ich finde, dass sollte man immer respektieren. Diesen offiziellen Job nun zu haben, war also wirklich großartig. Ich flog nach London und am Freitag, 27. August, ging ich zu Mr. Olsdal, wo wir uns alle trafen, denn die Band war so nett gewesen und hatte mir eine Mitfahrt zum Festival angeboten. Placebo’s Co-Managerin Alex war da sowie einige Freunde von Placebo aus Florida. Stefan war emsig damit beschäftigt, seinen Rucksack fertig zu packen und einige CDs für die lange Fahrt auszusuchen. Unsere Autos nach Leeds sollten von dort aus starten und so kurz nach 11 Uhr, verteilt auf zwei Wagen, ging unsere Reise dann los. Das Band-Auto mit Stef an Bord hat dann natürlich noch Sänger und Drummer – Brian Molko und Steve Hewitt – eingesammelt, bevor es Richtung Norden ging. Und natürlich auch nicht zu vergessen Bill und Xav, die Placebo’s geheime Waffen auf der Bühne sind. Es wurde wirklich eine sehr lange Fahrt, denn es war gerade ein Feiertags-Wochenende in England und alle Autobahnen waren verstopft. Wir hatten jedoch einen sehr guten Fahrer der sich auskannte und er schaffte es, unsere Reise auf (doch immerhin noch) 5 Stunden zu drücken. Alex nutzte die Zeit, um ihre Arbeit per Handy fortzuführen, welches nicht aufhören wollte zu klingeln. Dazu gehörte natürlich auch, in Kontakt mit der Band zu bleiben, die weit hinter uns war und somit auch weit hinter dem Zeitplan, denn sie waren tatsächlich in einem Stau stecken geblieben ! Sie waren fällig auf der Bühne um 18:45 Uhr und wir hofften alle, dass sie rechtzeitig ankommen würden. Die Stunden vergingen schnell während wir an Schildern wie Sherwood Forest, Windsor Castle und anderen bekannten Namen vorbei rasten. Alex hatte noch etwas ganz besonderes für uns – den neuen Song „20 Years“, welcher in ein paar Monaten rauskommen würde. Es hatte einen besonderen Effekt, solch einen langsamen Song in einem so schnell fahrenden Auto zu hören, während draußen die Landschaft vorbei flog.

Auf dem Festivalgelände Bramham Park angekommen, gingen wir sofort in den Backstage-Bereich zu den für die Band vorgesehenen Containern, wo Lisa, Placebo’s ‚Gewandmeisterin’ (um mal Vokabular aus dem Film ‚Velvet Goldmine’ zu benutzen !) bereits die ‚Couture’ vorbereitete. Lange vorbei sind die Tage, wo Brian billige Klamotten auf dem Kensington Market kaufen musste. Nun war ich umgeben von Kleiderbügeln mit Gucci-, Agnès B-, Vivienne Westwood- und Yamamoto-Teilen, um nur einige zu nennen. Lisa ist auch das Make-Up- und Ausstattungs-Mädel, welches die kargen Garderobenräume der Band mit Lichterketten, Kerzen und dunklem Samtstoff aufmotzt, um alles einladender und gemütlicher zu machen. Kurzum, sie ist verantwortlich für alles Schöne, welches das Touren mit einer Crew, die zu 99 % testosteronangetrieben ist, menschlicher macht ! Sie teilt sich den weiblichen Touch nur mit Brian’s Gitarrentechnikerin und gibt zu, dass es so seine Momente hat, nur mit Männern zu touren…

Die Zeit vergeht und es ist immer noch kein Placebo-Mitglied in Sicht ! Leute werden nervös. Mehr Anrufe und SMSen mit Brian. Alex verschwindet im Produktionsbüro, wo die Bühnenzeiten überarbeitet werden, was der Band nun eine halbe Stunde zusätzlich Zeit gibt, bevor sie vor das Publikum treten müssen. Ich hole meine Kamera schon mal raus und lege einen Film ein, um für ihre Ankunft vorbereitet zu sein, während die Freunde aus Florida und Alex sich meine Placebo-Aufnahmen vom Schweizer Gurtenfestival einen Monat vorher ansehen. Wieder belegen The Streets die angrenzenden Container, wie in der Schweiz. Ich erinnere mich, Steve nannte Mike Skinner den „neuen Shakespeare“. Skinner & Co. schlendern mit einer halben Stunde Verspätung auf die Bühne. Skinner sagt, sie haben das Haus um 11.00 Uhr verlassen und „Könnt Ihr das glauben ?!“. Ja verdammt, das können wir !

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Placebo sind immer nervös, wenn sie in England auftreten, was damit zu tun hat, dass die britische Presse mehr unobjektiv als konstruktiv kritisch ist und dass es deren dreckige Angewohnheit ist, sehr persönlich zu werden. Es ist auch eine Tatsache, dass heute Frankreich Placebo’s größter Markt ist, gefolgt von Deutschland und nicht England. Also versuchen sie immer, ihr bestmögliches zu geben, steigern sich da ein wenig hinein vor einem Konzert und machen sich einfach zu viele Gedanken, meiner bescheidenen Meinung nach – was sie aber Gott sei Dank menschlich macht. Ich kann mir nur versuchen vorzustellen, was für dramatische Szenen sich im Auto nach Leeds abgespielt haben (oder auch nicht), aber als die Jungs endlich weit hinter dem Zeitplan ankommen, haben sie nicht viel Zeit, sich um Großbritannien als solches Sorgen zu machen. Brian kommt fluchenderweise an, variiert mit Erleichterungs-Seufzern, dass sie es endlich hierher geschafft haben. Sie schmeißen ihr Zeug in die nächstbeste Ecke und mein Job beginnt, während die Jungs anfangen zu entscheiden, welches Outfit sie auf der Bühne tragen werden. Viele Entscheidung, die getroffen werden müssen ! Zudem muss auch das perfekte Make-Up aufgetragen werden und das verdammte Haar muss auch richtig sitzen. Stef gönnt sich eine frische Kopf-Rasur während Brian ein Anti-Bush T-Shirt anzieht, sich im Spiegel betrachtet und es dann wieder verwirft. Das gleiche mit dem nächsten Outfit, dass er auswählt. Bill hingegen, der ein großer Rainer Werner Fassbinder- und Werner Herzog-Fan ist, schien es jedoch etwas peinlich zu sein, sich vor mir und meiner Kamera umzuziehen, was mich amüsierte. Während es einfach ist Fotos von den Jungs zu machen, ist es Brian, der nicht für eine Sekunde stillsitzen kann und der permanent zwischen den beiden Containern (einen für Styling, einen für Freizeit und Vergnügen) pendelt. Er versichert mir, „Ich bin immer so !“ und verschwindet erneut. Ich bin froh, dass ich den idealen Film für diese Aufgabe gewählt habe – mein Favorit, es ist ein sehr schneller s/w-Film, der mit den schwierigsten Lichtverhältnissen und schlecht beleuchteten Live-Konzerten klar kommt und er ist erstaunlich für Point-and-Shoot für Personen – deswegen kommt er auch klar mit einem Hochgeschwindigkeits-Molko Kid, der alle paar Minuten vom Container in das grelle Tageslicht saust. Dies ist auch ein Film mit sehr hohen Kontrasten und das ist genau das, was ich an s/w-Filmen liebe. Seine Körnung ist großartig für die Schnelligkeit und sie bereichert das Gefühl und die Stimmung der Bilder, ohne dabei im Weg zu stehen. Ich gebe den Fotos dann gerne einen Sepia-Farbton, denn kontrastreiches s/w kann manchmal sehr kalt wirken und Sepia gibt Wärme. Brian nannte meine neusten Fotos ‚sehr Corbijn-like’, was natürlich ein großes Kompliment ist, aber es ist nicht beabsichtigt, ihn zu kopieren – das wäre auch vermessen, denn Anton ist der Meister. Nein, hohe Kontraste sind einfach das, was ich am meisten mag. Ich habe übrigens Anton Corbijn schon mal getroffen backstage beim Terremoto-Festival 2000, wo er einen Termin mit Beck hatte und habe da meine Chance genutzt ihm zu sagen, wie sehr ich seine Arbeit bewundere. Er war wirklich sehr nett gewesen und überhaupt nicht abgehoben, sondern sehr ruhig und überhaupt nicht hektisch. Er fragte mich woher ich komme, eine Kleinstadt in Deutschland, worauf er antwortete, „Ah, das liegt in Österreich, nicht wahr ?“. Diese Holländer ! Er berichtete mir auch von seiner bevorstehenden Ausstellung und es war wirklich toll gewesen, mit ihm zu sprechen.

Sobald Steve Hewitt ankommt ist das erste was er macht, das Aufwärmen seiner Muskeln und Sehnen in den Armen und Händen, wozu er für eine lange Zeit auf einem sog. ‚Practise Pad’, welches auf einem Beckenständer angebracht ist, herumschlägt und er möchte dabei nicht unterbrochen werden. Er benutzt sogar Mentholatum Deep Heat Spray, ein Schmerzkiller, der effektvoll Wärme erzeugt, um die Zirkulation anzuregen und Verspannungen zu lösen und für eine schnelle Linderung von Muskelschmerzen sorgt. Oft bandagiert Steve auch sogar seine Knie vor den Konzerten, um auf seinen sehr körperlichen Job vorbereitet zu sein – denn immerhin ist er ja das TIER ! Stef bietet ihm eine kleine Ablenkung in Form eines hochprozentigen Drinks an um in Stimmung zu kommen, den er gerne annimmt. Brian bittet darum, mit Lisa alleine gelassen zu werden als es Zeit für das Make-Up ist und ich respektiere das. Er sagt, es wäre immer ein sehr besonderer Moment für ihn, fast wie Meditation und da muss er alleine sein. Nun, er würde diesbezüglich sehr viel entspannter sein zwei Tage später in Reading…Also gehe ich und schaue mir stattdessen die schwule Tischtennis-Meisterschaft an – bedeutet, Stef und Xav machten eine Show mit nur einem Ball. Ich kriege klasse Bilder.

Die Sonne scheint und wir haben viel Glück mit dem Wetter – Gott sei Dank ist dies heute kein Festival von der matschigen Sorte und ich habe viel Spaß, bei dem was ich tue. Im Gegensatz zu Brian der sagt, dass er sich hier wirklich nicht wohl fühlt. Ach, die Anspannung…Schon bald nimmt er sein Bier und haut ab – ich mache ein Foto von ihm wie er in der Ferne verschwindet, während oben auf dem Hügel die große Bühne bedrohlich lauert – mir gefiel die nervöse Stimmung, fast Isolation, von diesem Moment.

Als der Auftritt immer näher rückt fängt Stef mit seinen Streck- und Dehn-Übungen an, um seine Muskeln und Sehnen aufzuwärmen. Auch die InEar-Monitore werden ins Ohr gesetzt. Glücklicherweise ist Brian mittlerweile zurückgekehrt und er beschließt, in der Ecke von zwei angrenzenden Containern zu pinkeln. Alle schreien mir zu, dass ich von diesem Moment ein Foto machen soll und ich bin schnell überzeugt, gerade rechtzeitig, als Brian seinen Kopf nach rechts dreht, um von hinten noch fotogener auszusehen. Und dann ist es Zeit für das Bandritual, welches sie vor jeder Show zelebrieren: Gruppenumarmung ! Brian, Stef, Steve, Bill und Xav bilden einen Kreis, schreien so laut sie können, um sich selber komplett aufzuputschen, während sie sich so doll drücken, dass ich Brian gar nicht mehr sehen kann ! Obwohl das 5. Paar Beine definitiv jemandem gehören muss, haha…Etwas, das wie ein elektrisches Golfauto aussieht, bringt uns den Hügel hoch zur mächtigen Hauptbühne – dies sind wirklich beeindruckende Dimensionen. Minuten vor dem Konzert sehe ich hinter der Bühne blasse Gesichter und Nervosität auf dem Höhepunkt. Brian zieht schwer an seiner Zigarette und die Jungs wechseln ein paar Worte mit dem Bühnenmanager. Man sollte glauben, dass sie völlig entspannt sind nach all den hunderten von Konzerten, die sie nun schon gespielt haben, aber nein, dies ist Großbritannien und sie sind immer noch aufgeregt wie Hölle. Während es ein leichtes für sie ist, europäische Festivals zu headlinen, stehen sie seltsamerweise immer noch an 3. Stelle in Leeds und Reading. Nach einigen angespannten Minuten, die Jahre zu dauern schienen, treten sie endlich vor das johlende Publikum und liefern eine brutale Version von „Taste In Men“. Ihre Greatest Hits Setliste, in Erwartung auf das Erscheinen des Albums im folgenden Monat, lässt einem kaum Zeit Luft zu holen und Leeds wird ernsthaft von den ’bo gerockt.

Ich muss Luft holen bei der grandiosen Perspektive, die ich von der Bühnenseite aus habe, während ich Fotos mache und der Ozean an Köpfen vor uns ist sowieso einfach beeindruckend. Ich hatte schon vorher Fotos auf der Bühne gemacht, aber bei kleineren Festivals. Ich schleiche mich hinter das Bühnenbild und wechsele die Seiten mehrmals – es ist eine ganz schöne Strecke von einer Seite der Hauptbühne zur anderen ! Natürlich achte ich darauf, dass ich auf Brian’s Seite bin, wenn es Zeit für „English Summer Rain“ ist, denn dann dreht sich Brian immer um und bearbeitet seinen Sampler, was eine nette Abwechslung zu ‚Brian hinter seiner Gitarre’-Fotos ergibt. Sie beenden ihre Show mit einem mächtigen „Nancy Boy“, ein Song, den sie schon 4 Jahre nicht mehr in Großbritannien gespielt haben. Mit Hymnen wie „Pure Morning“ war es wirklich eine publikumsgefällige und -befriedigende Show gewesen.

50 Cent ist als nächster auf der Bühne, aber das ist mir völlig wurscht. Es ist Zeit für ein paar Drinks, denn mit dem Foto-Job bin ich für heute fertig. Zeit, unter die Leute zu kommen. Steve trifft außerdem seine Mutter, die gekommen war ihn zu sehen. Meine Fahrt zurück nach London mit Alex und den Freunden aus Florida dauert diesmal nur 3 Stunden und ich bin zurück im Hotel um 1 Uhr morgens, wo ich sofort einschlafe…

Claudia Schmölders

 

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