Profil

_Fotogramme: Metaphysische Röntgenbilder

Perfektion ist langweilig. Viele ihrer Fotogramme sehen aus wie schlechte Drucke – Claudia Schmölders spielt mit unserer Wahrnehmung, indem sie mit dieser rauen Zerrissenheit genau das unterstützt, was nicht in sichtbarer Form erscheint. Das Portrait stand bisher dabei im Zentrum ihrer metaphysischen Röntgenbilder. Eine Affinität zu Symmetrie und paarweise auftretenden Objekten ist in ihren Arbeiten auffällig sowie das Spiel mit Größen-Variationen. Letztendlich geht es aber immer um den Menschen.

Der legendäre Jazz-Sänger Jimmy Scott sagte einmal, dass Künstler niemals ihre Schwächen verlieren dürfen, denn sonst verlieren sie ihre Unschuld. Es sind Schwächen, die man im Stillen wahrnimmt und die man versucht, sichtbar zu machen – während man dabei seine eigenen Schwächen und Stärken erkundet. Es gibt nichts, was faszinierender, enttäuschender, mitfühlender, rücksichtsloser, verwirrender, dümmer, schlauer und mysteriöser ist als der Mensch. Es sind die kleinen Unvollkommenheiten, die einen in den Bann ziehen. Nicht die tot-retuschierten Gesichter auf Titelbildern, von deren kalten Oberflächen der Blick ins Leere prallt.

_Rockin’ on paper

Musik als eines der Hauptthemen ihrer Arbeiten kristallisierte sich einmal mehr heraus als sie, nachdem sie bereits 1995 einen Kalender mit ihren Zeichnungen der britischen Band Suede veröffentlicht hatte, nun 1997 dem Londoner Konzeptkünstler Jeremy Deller (Gewinner des englischen Turner Prize in 2004) einige ihrer Zeichnungen der walisischen Band Manic Street Preachers zur Verfügung stellte für sein Projekt „The Uses Of Literacy“ – eine Ausstellung, die Kunst über die Manics zeigte, die in ihrer Musik schon immer die Wichtigkeit von Kunst und Literatur betont haben. Die Ausstellung tourte bis Ende 1998 durch England und Wales (mit Veröffentlichungen u.a. im englischen Select Magazine und dem entsprechenden Buch zur Ausstellung, welches Deller 1999 herausgab). Die Ausstellung war ebenfalls bei der BIM 2001 (die 9. Biennale des Moving Images organisiert durch das Centre pour l’image contemporaine) in St-Gervais/Genf, Schweiz, vertreten sowie im Yorkshire Sculpture Park in England 2009. “The Uses Of Literacy” ist nun im Besitz des Arts Council in England. Ein sehr sicheres und prestigeträchtiges Zuhause, wie Jeremy Deller, der im Sommer 2013 Großbritannien bei der Biennale in Venedig vertritt, berichtete.

Um ihre Zeichnungen von verschiedenen Bands und Künstlern regelmäßig einem Publikum vorstellen zu können und um ihrem journalistischen Interesse nachgehen zu können, gründete sie 1996 ihre Publikation “carpe diem”, ein in Englisch herausgegebenes A4-Musik-Fanzine, welches in 20 Ländern gelesen wurde und welches ab 2002 als Webseite auftrat. Im Rahmen dieser alternativen Presse interviewte sie Leute aus dem Indie-/Alternative-Bereich wie Placebo, James Dean Bradfield und Nicky Wire von den Manic Street Preachers, die Sneaker Pimps, Dream City Film Club, Michael J. Sheehy, United sowie den französischen Produzenten Dimitri Tikovoi und andere. Placebo’s Bassist Stefan Olsdal schrieb zudem exklusiv ein Tournee-Tagebuch für „carpe diem“, als die Band mit ihrem „Black Market Music“ Album 2001 weltweit unterwegs war. Das Fanzine wurde auch im TV von Markus Kavka in der damaligen Kultsendung „2Rock“ vorgestellt.

2002 experimentierte sie das erste Mal umfassender mit Fotogrammen in der Dunkelkammer und entwickelte dabei ihren eigenen Stil. Für Dimitri Tikovoi, dem Mann hinter dem ‚Trash Palace’ Projekt und Produzent des Placebo-Albums ‚Meds’, fertigte sie etliche Trash Palace-Fotogramme an.
Zusammen mit einer Grafik-Designerin war sie anfangs auch für die erste Version der offiziellen TP-Webseite zuständig.

Mit Placebo, die sie das erste Mal live als Support für David Bowie im Februar 1996 in der Schweiz gesehen hatte, entwickelte sich über die Jahre eine Freundschaft. Sie hat die Band über 70 Mal live in allen möglichen Ländern und Städten gesehen, ob nun in Amsterdam, New York, Warschau oder sonst wo. Für „carpe diem“ war ihre Kamera immer mit dabei, auch bei Konzerten anderer Bands. 2004 bekam sie von Placebo den Auftrag, die Band backstage und on-stage bei zwei der größten englischen Festivals, Leeds und Reading, zu fotografieren. Zitat Stefan Olsdal, “Du fängst uns wunderbar ein und ich finde, dass unsere Persönlichkeiten wirklich rauskommen.” Später folgte auch die Londoner Wembley Arena.

Zum 30. Geburtstag von Placebo’s Bassisten Stefan Olsdal 2004 schuf sie ‘THE STEFBOX’ – eine Box, die eine Sammlung von 30 Fotogrammen enthält, die Olsdal porträtieren. Die Fotogramme beeindruckten derart, dass sogar Olsdal’s Eltern aus Schweden dem Kundenkreis beitraten.
Es folgten Fotogrammserien abseits des Themas Musik.

_subjektiv OBJEKTiv

Seit dem Tod ihrer Eltern in 2007 arbeitet Claudia Schmölders zusätzlich dreidimensional mit ihrer Objekt-Serie IDENTIFICTION, in der sie die verschiedensten Themen verarbeitet, wie z.B. Vergänglichkeit, Verfall und Verlust. Auch hier legt sie großen Wert darauf, dass die in ihren Objekten verarbeiteten Einzelteile originelle, größtenteils alte Gegenstände mit Seele sind – Dinge, die schon etwas durchgemacht haben, die Charakter und eine Geschichte haben. Diese Ästhetik des „Fehlerhaften“ verweist durchaus auch ein wenig auf die Komponente der japanischen Ästhetik Wabi-sabi, die das genaue Gegenteil zu den Werten der westlichen, kommerzbestimmten Welt, wie Perfektion, Beständigkeit und Herrlichkeit, darstellt. Wabi-sabi verzichtet zugunsten innerer Werte auf äußeren Prunk.

Generell möchte sich Claudia Schmölders nicht auf ein Medium festlegen und nicht in eine Schublade stecken lassen. Ihre Aussagen können auf vielfältige Art und Weise transportiert werden und die Idee entscheidet, in welche Richtung es geht. Alles ist möglich !

Alle ihre Fotogramme sind handgefertigte Dunkelkammer-Arbeiten und entstehen nicht digital.

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