Objekte

_Objektserie IDENTIFICTION

Erstaunlicherweise tauchen in meinen Objekten viele Puppenteile auf. Ich finde, Puppen kann man nur wohldosiert in Einzelteilen ertragen ! Als Kind habe ich nie mit Puppen gespielt und fand diese Plastikdinger mit Plastikhaar einfach furchtbar – ich war tödlich beleidigt, als ich mal eine von einer Schulkameradin zum Geburtstag geschenkt bekam, obwohl sie eigentlich genau wusste, dass ich damit rein gar nichts anfangen konnte ! Ein Bekannter hat zwei Kinder, eine Tochter und einen Sohn. Der Junge bekommt Bücher zum Geburtstag geschenkt, das Mädchen bekommt Puppenkram – erstaunlich, dass es das in der heutigen Zeit noch gibt ! So wird das Mädchen von Anfang an in ein antiquiertes, verstaubtes Rollenklischee gepresst. Ich hoffe, sie wird früh genug „rebellieren“ und könnte ein kinderloser Bachelor werden – zum Beispiel. Ich liebe das Video zu „Black Hole Sun“ der amerikanischen Band Soundgarden – dort wird einer Barbie über dem Grill der Gar ausgemacht. Es ist eine Freude, ihr leeres hohles Gesicht schmelzen, tropfen und zerlaufen zu sehen. Ein richtiges „Barbie-Q“ eben. Puppen sind ein äußerst fragwürdiges Symbol für eine Art von Weiblichkeit, wie der männliche Part der Gesellschaft sie zum größten Teil versteht. Damit konnte ich persönlich noch nie etwas anfangen.

Puppen kann man nur in Einzelteilen ertragen. Einzelteile, denen ich in meinen Objekten bestimmte Aufgaben zuweise und die ich aus dem traditionellen Kontext genommen habe. Sie sind nur Dummys. Platzhalter.
Seitdem meine Eltern beide 2007 kurz nacheinander gestorben sind, habe ich das Bedürfnis, mich dreidimensional auszudrücken. Dies ist nun meine ganz eigene Art von sezierendem „Puppenspiel“. Selbstanalyse, Situationsbewältigung und kleine Orte kompletter geistiger Freiheit zugleich. Was mich bewegt kann man in meinen Objekten lesen. Es ist zwar nicht immer leicht, so ehrlich zu sein und sich offen zu legen, aber letztendlich kann vor sich selber sowieso niemand weglaufen. Früher oder später muss man sich mit sich selber konfrontieren. Pleased to meet you. Hierzu kommt das inspirierende Zitat des Surrealisten André Breton von 1929 in den Sinn: „Verweisen wir noch einmal darauf, dass der Surrealismus einfach danach strebt, unser gesamtes psychisches Vermögen zurückzugewinnen auf einem Wege, der nichts anderes ist als der schwindelnde Abstieg in uns selbst, die systematische Erhellung verborgener Orte und die progressive Verfinsterung anderer, ein ständiges Wandeln auf streng verbotenem Terrain.“

  • “Little Miss Self Destruct” (Vitrine, Antike Teepuppe aus Wachs [Original gefertigt vor 1945], Metallkopfklemme, Moossteine, Aludraht, 2 Krokodilklemmen, 41 x 20 x 20 cm, 2011)
    Eigentlich ist alles in Ordnung. Grüne Idylle. Aber dann hat man da so einen Gedanken, der einen nicht loslässt und man durchdenkt und durchdenkt ihn weiter und weiter – bis man schließlich eine anfänglich positive Sache kaputtgedacht hat und man Hölle im Kopf hat !
  • “Was hat Dich bloß so ruiniert?“ (Schubladenvitrine, antiker Wachs-Puppenschulterkopf; 2 Wachsköpfe [über 40 Jahre alt], 2 künstl. Granatäpfel/3 Äpfel, offener künstl. Granatapfel, 2 Gläschen, 12 Zähne, Keilrahmen, künstliche Insekten, Glasauge, Glasfläschchen mit Korkstopfen, Schachtel Röhrchen Regulierscheibchen von Uhren, Stecknadeln, Totenkopfschwärmer gezeichnet mit Buntstift auf Ingres-Papier, 27,5 x 27,5 x 63 cm, 2010)
    Wenn die Grütze aufgeplatzt ist, das ist die ultimative geistige Freiheit ! Was hat Dich bloß so ruiniert ? In welche Schublade haben sie dich diesmal gesteckt ? Schönheit liegt im Auge des Betrachters. Aber nicht jeder Betrachter hat ein Auge.
  • “Icon Del“ (alter Schaukasten, schwarze Acrylfarbe, schwarzes Klebeband, altes goldenes Kruzifix mit Porzellan-Jesus, Eject-Taste, 4 schwarze Glasaugen, 1 Spielkarte, 3 kleine Tafeln, 1 schwarze Schreibfeder, Remove-Kunststoffteil, transparente Gardinennadeln, Aluminiumdraht, 40,5 x 50,5 x 10 cm, 2010)
    Was kann man zur katholischen Kirche sagen, was noch nicht gesagt wurde ? Die Trauerpredigt bei der Beerdigung meiner Mutter war wohl das Unpersönlichste, was ich je miterleben musste. Und das, obwohl ich und mein Vater, der zu dem Zeitpunkt noch lebte, uns über eine Stunde mit dem Pastor im Vorlauf unterhalten hatten und viele persönliche Dinge von meiner Mutter erzählt hatten, um ihm ein genaues Bild von ihr zu vermitteln. Er erwähnte davon nichts und als dann noch um eine Spende für den Papst gebeten wurde, war Schluss bei mir. Auf welcher Veranstaltung sind wir hier eigentlich ?!?
    WOLLEN SIE DIESES OBJEKT WIRKLICH LÖSCHEN ? JA !
  • “I can’t get no…!“ [machine version] (roter Kaugummiautomat, einige hundert Gelatinekapseln mit Satisfaction, Schild „Außer Betrieb“, Schraube, orig. Fender Gitarrenseite aus den 70ern, 28 x 15,5 cm, 2009)Theoretisch könnte im Leben alles so einfach sein – doch dann ist da wieder ein unvorhersehbarer Faktor, der nicht so funktioniert, wie er sollte und schon steht man da mit einem langen Gesicht !
  • “I can’t get no…!“ [med. version] (alte Apothekerflasche 11,5 x 3,3 cm, Lauschaer Glasauge, Zahn, Gelatinekapseln mit Satisfaction, orig. Fender Gitarrenseite aus den 70ern, in schwarzer Glitterpappbox mit Zeichnung, 14,5 x 9,5 x 4,3 cm, Edition: 2 Stück, 2009)
    Satisfaction to go.
  • “Hätt’ ich Dich heut’ erwartet, hätt’ ich Kuchen da“ (transparente Vitrine mit Holzsockel, weißer Schädel aus gebranntem Ton, 1 HO-Passant, Baby-Puppenkopf, 34 x 17,5 x 16,5 cm, 2009)
    Man wird geboren und schlendert so durch sein Leben und plötzlich – BAM ! – kommt einem der Tod in die Quere. Und natürlich nicht zwingend der eigene. Man lernt, dass er einfach zum Leben dazu gehört und dass er sich, wie ein arrogantes Miststück, einfach selbst einlädt. Man kann nie ganz auf ihn vorbereitet sein. Bitch !
    Geburt und Tod sind die markanten Eckpunkte der Lebensstrecke. Bei einer Geburt freut sich jeder. Dann verliert man, in vielen Fällen, im Laufe des Lebens die Person aus den Augen. Erst wenn man vom Tod der Person hört, horcht man oftmals wieder auf.
  • “Die Ich-GG“ (transparente Vitrine mit Spiegelrückwand, 24 alte Holzlettern, historische Puppenkopf-Gießform um 1900 aus Messing, 108 weiße H0-Figuren, 1 Steg, 8 Laborfläschchen, 1 Mutter und 1 Pfeife „If you want me whistle“, 29 x 20 x 16 cm, 2009)
    Was persönliche Dinge angeht, bin ich ein wirklich verschlossener Mensch. Grundsätzlich muss schon einiges passieren, bevor ich jemanden in meinen Kopf, in meine privatesten Gedanken, hineinlasse. Die meisten kommen nicht so weit. Aber das müssen sie auch nicht.
    Ich bin eher eine „geschlossene Gesellschaft“.
  • “CSI Sorrow“ (transparente Vitrine, altes Herzmodell [Gips] eines Menschen aus den 50er/60er Jahren, 5 H0-Figuren Team Spurensicherung + 1 Passant, 1 Kunststoff-Eiswürfel, 29 x 20 x 16 cm, 2009)
    CSI Sorrow kraucht schon seit Tagen auf meinem Herzklumpen herum, aber das Team von Fachleuten findet keine verwertbaren Spuren. Du Täter warst viel zu clever gewesen…
  • “Placeboman“ (alter Glassturz um 1890, 3 antike Porzellan-Puppenbeine, 3 alte mundgeblasene Puppen-Glasaugen, 1 Dose Placebotabletten, Masse-Puppenkopf um 1920/30, Höhe 28 cm, Ø 12 cm, 2009)
    He makes you believe.
  • “Das Körnchen Wahrheit“ (Holzbox mit Masse-Puppenkopf um 1950, 120 Wackelaugen, 2 Spielkarten, 16 Laborfläschchen und 1 Granulatkorn, 30 x 25 x 11 cm, 2009)
    Wie man schon an den Nummern auf den Spielkarten erkennen kann, ist das nicht wirklich die passende Antwort zu der Frage. Man kann nun rätseln, ob in dieser Aussage nur ein Körnchen Wahrheit steckt oder ob gar in einem Mann nur ein Körnchen Wahrheit steckt ! Meine Meinung hierzu schwankt stündlich, haha…
  • “Sunday Blues“ (Fotogramm, Glasauge von 1920, Gummiherz, Verteiler, alte Lettern, Flügelmutter und Zettelspießer in Glasvitrine, 37 x 23 x 18 cm, 2009)
    So abgedroschen es klingt, aber Saint-Exupéry’s kleiner Prinz hat Recht…
  • “Best before…” (22 Hände von Schaufensterpuppen, silberne Vase, Stiele von künstlichen Blumen, 2008)
    Nichts hält ewig. Selbst wenn man das Wasser noch so oft wechselt und sich bei der Pflege wirklich Mühe gibt, hält ein Strauß Blumen nur eine gewisse Zeit. Beziehungen und Freundschaften zu anderen Menschen sind manchmal wie Schnittblumen vom Wochenmarkt und können genau so schnell vergehen und welken.
  • „30 11 18 24“ (Antiker Vogelkäfig [Eisen/Messing] um 1900, alte Schaufensterpuppe der Fa. Pierre Imans Paris, 2 Schlüssel, 12 Brillen der toten Familie, 77 x 39 x 39 cm, 2008)
    Wenn Worte niemals vermögen könnten, die Tragweite einer Tragödie auszudrücken, dann können nur noch die blanken Eckdaten, unumstößliche Fakten, nackte Zahlen, die Information transportieren. Wie 9/11. Etwas, dass so groß ist, dass man es nicht sofort begreifen oder fassen kann. Als nach dem plötzlichen Tod meiner Mutter mein Vater nur 7 Monate später ebenfalls plötzlich verstarb, waren MEINE beiden Türme eingestürzt. Neben dem Gefühl der Amputation fühlt man sich gefangen in einem Käfig aus guten und schlechten Erinnerungen, neuen Verpflichtungen und den Erwartungen anderer. There’s no escaping. Was die guten Erinnerungen angeht – wäre es nicht fantastisch, wenn die Brillengläser wie eine Art kleine Monitore wären, durch die man sich das Leben und die Erfahrungen, die besten Momente und Erlebnisse der ehemaligen Träger aus ihrer Perspektive jederzeit wieder ansehen könnte ? Wenn sie auf immer gehalten werden könnten.
  • „Dies ist keine Übung. Wir danken Ihnen für Ihre Kooperation.“ (5 Einmachgläser, 3 Hände von Schaufensterpuppen, ein toter Bonsai, Pappkarton, 2007)
    Irgendwann im Leben kommt einmal ein Punkt, wo man nicht immer stark sein kann und sich tatsächlich eingestehen muss, dass man die Hilfe, die Hände, anderer braucht und man in diesem Moment wirklich zerbrechlich ist – auch wenn man nach außen nicht so wirkt. Meinen Bonsai, ein Geschenk meiner Mutter, habe ich immer regelmäßig gegossen. Auch als meine Mutter im Krankenhaus war. Aber als sie starb, war auch plötzlich der Bonsai vertrocknet…

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